Das Hotel
Ich hielt Elifs Hand und sah aus dem Fenster auf den Bosporus. Der Bus zum Flughafen fuhr wieder an uns vorbei. Vor knapp einer Stunde saß ich in diesem Bus auf der anderen Seite der Planke und fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Selbst wenn ich mich anspannte, fühlte ich mich, als könnte ich mich wieder erkennen wie ich am Fenster sass, Wasser strömte aus mir heraus, starrte in den leeren Raum vor mir und raste gegen die Zeit. Etwa dreißig Minuten Unterschied, und schon sah das Leben anders aus.
Der Stau war bereits noch größer geworden und wir krochen langsam mit unserem Shuttle Bus auf dem heißen Asphalt. Was erwartete mich? Ich fühlte mich wie in einem Computerspiel, wo ich das erste Level bestanden hatte und jetzt zum zweiten überging. Die Herausforderungen werden größer, die Feinde schwerer zu besiegen und die Einsätze höher. Wenn ich hier einen Fehler mache, verliere ich alles und musste von vorne anfangen. Aber es gibt keinen Neuanfang in diesem realen Spiel. Ich wollte auch nicht verleieren. Kein Game Over! Ich überdachte jede meiner Bewegungen, jeden Satz, jeden Vorschlag. Ich wollte zeigen, dass ich die Kontrolle habe und von nun an die Spielregeln bestimme. War es aber so?
Weniger als eine Stunde verging und der Fahrer parkte vor derselben Glastür, durch die ich vor drei Tagen eingetreten war, um mein Zimmer zu beziehen. Er nahm unser Gepäck herunter, umarmte uns, lächelte und wünschte uns „Size, bol kasmet - Euch Zwei Viel Glück“, ich fand erst später heraus, dass er diesmal uns beiden Glück gewünscht hatte. Er drehte sich um, stieg ein und setzte seinen Kurs zu den anderen Hotels fort.
Elif bat darum, eine Zigarette zu rauchen, um Umgebung zu erkunden. Um uns herum gab es eine kleine Konditorei, ein Lebensmittelgeschäft, eine Polizeistation und einen sehr kleinen und schönen Park. Ich erklärte ihr kurz, in welchem Gebäude wir uns befinden würden und welches unser Fenster sei. Ich musste nur herausfinden, würde sie bei mir bleiben oder würde sie ihr eigenes Zimmer bekommen wollen? In dem Moment, mit diesen Gedanken, war es mit meiner Kotrolle ueber der Situation vorbei. Ich uebernahm wieder die Opferrolle ohne es zu merken. Verdammt!
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Das Hotel bei Nachtlicht |
Sie warf die Kippe auf den Boden, trampelte darauf herum, nahm sie dann in die Hand und trug sie zum nächsten Mülleimer. Ich mag die Details im Verhalten von Menschen, die aus einer geordneteren Welt kommen.
- Ayde, Komm schon, op - sagte sie und öffnete die Tür - und Zarko, vergiss den Koffer nicht . Ich sah sie böse an, aber andererseits bin ich ein Gentleman und denke nicht, dass eine Frau nach einem 3-stündigen Flug und einer 2-stündigen Busfahrt ihr Gepäck alleine tragen sollte. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich diesen Koffer die nächsten 6 Jahre ihr hinterher in bekannte und unbekannte Ecken Europas und in der Welt tragen würde. Ich wusste damals noch nicht, dass dieses Computer-Spiel kein letztes Level hat. Jede Stufe eroeffnet einfach die naechste. Wir waren kaum eine Stunde zusammen und meine Gehoerigkeit wuchs mit jeder Sekunde, als ob keine eigene Wille hatte. Entweder musste ich spielen oder rausgehen.
Ich nahm den Koffer und folgte ihr.
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Denise begrüßte uns mit diesem verschmitzten und schmierigen Lächeln, das ich schon damals nicht mochte, aber ich musste es ertragen. Er war auf seiner Art freundlich und hilfsbereit, aber die viele Jahre als Empfangsbursche hatten ihn zu unterwürfig gemacht.
- Willkommen, bitte setzen Sie sich . - Er stand auf, reichte Elif die Hand und stellte sich vor - Ich bin Denise, es ist mir ein Vergnügen. Zarko sagte mir, er warte auf seinen Freund. Ich war mir sicher, dass dieser Freund eigentlich eine schöne Frau sein würde. Möchtest du ein eigenes Zimmer geniessen oder bei Zarko übernachten?
Ich musste zugeben, dass Denise, obwohl er schmierig und gerissen war, genau in die Richtung arbeitete, in die ich wollte. Ich hatte nicht die Absicht, getrennt von Elif zu schlafen. Ich stand mit dem Gesicht zur Rezeption wie vor einer Richterbank und wartete auf mein Urteil. Elif sah mich an und überdachte ihre Entscheidung. Ich glaube, sie wusste schon, was in den nächsten Tagen passieren würde, aber warum nicht ein bisschen mehr mit mir spielen? Ist es nicht am süßesten zu essen, wenn man hungrig ist? Auf meine Art tat ich so, als wäre es mir egal, was sie entscheiden würde. Denis hatte sich bereits in seinem Stuhl zurückgelehnt und beobachtete interessiert dieses Schauspiel. Ich hatte ihm mehr oder weniger gesagt, worum es ging, und er war definitiv gespannt, wie die Miniserie von hier aus weitergehen würde.
- Komm, das ist mein Pass, registriere mich bei Zarko, aber reserviere mir ein Zimmer. Wenn es mir nicht gefällt, wie er mich behandelt, komme ich und du buchst mich um. - Sie hat ihren Pass und Bargeld Denise ueberreicht und die Preisdifferenz für eine zweite Person bezahlt. - In drei Tagen werde ich kommen und dir sagen, ob ich gehe oder länger bleibe.
Das Urteil wurde verkündet. Ich hatte eine Probezeit von drei Tagen, in der ich mein Bestes geben musste, um das Spiel am Laufen zu halten. Ich
brauchte keine drei Tage, ich hatte mir selbst eine Frist von 24
Stunden gesetzt, in der sich herausstellen musste, ob dieses Spiel Sinn machte
oder ob es nur ein Sommerflirt war. Ich hatte nicht die Absicht, meine Zeit mit kurzlebigen Intrigen und saisonalen Beziehungen zu verschwenden. Ich hatte genug Spaß in Berlin gehabt, bevor ich in die Türkei abreiste, und ich hatte genug von dummen und kleinlichen Spielchen. Ich wollte die grosse Finale.
***
Wir gingen hoch in unser Zimmer und ich zeigte es Elif. In der Mitte stand ein riesiges Bett, daneben ein großes Badezimmer, eine Küchenzeile, eine kleine Toilette mit einer merkwuerdiger Treppe vor ihr, als ob man im Wohnmobile waere und eine sehr seltsame Nische, in die man nur hineinkriechen konnte, um in einen kleinen Raum zu gelangen. Ich stellte den Koffer auf den Boden und legte mich aufs Bett. Sie lächelte, nahm ein Handtuch vom Bett und ging hinein, um zu duschen.
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Die Treppe zur Toilette war einfach der Hammer |
Nach weniger als zehn Minuten kam sie aus dem Badezimmer. Ihr nasses Haar fiel ihr über die Schultern, und ich sah ihr direkt in die Augen. Ein paar spannende Sekunden vergingen wie ein Blitz bevor es donnert. Dann rutschte mein Blick nach unten...
Ich erinnere mich nur, dass beim Verlassen des Hotels der Hodscha mindestens dreimal gesungen hatte, die Geschäfte nicht mehr geöffnet waren und niemand auf den Straßen zu Sehen war. Nur die Mondstallen ertrankten im dunkelblauen ruhigen Wasser des Bosporus. Irgendwo in der Ferne war eine Eule zu hören. Es war Mitternacht. Elif kuschelte in mir. Wir sassen auf einer Bank im Park vor dem Hotel.
Das Spiel hatte begonnen.
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Kadirgi Park - direkt vor unserem Hotel |
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