Eine Geschichte vom Ueberschwemmungsgebiet in Bogdan, Bulgarien

Der Opa Mischo von der Mahale

 Heute eine andere Geschichte, die Geschichte vom Opa Mischo

06.30 Der Wecker klingelt. Ich stehe auf. Neben dem Bett steht mein alter Rucksack. Ich habe eine krumme Schaufel von meinem Vater ausgeliehen und daneben aufgestellt. 07.00 Ich trinke meinen ersten Kaffee aus, schnappe mir meine Stiefel und mein Gepäck und rufe den Fahrstuhl. 07.15 Uhr Warten vor dem Block. Ich habe meinen Bruder seit anderthalb Jahren nicht gesehen. Ich war im Ausland, er arbeitet sehr viel und hat kaum Zeit. 07.30 Mein Bruder taucht in seinem gelaendewagen von weitem auf, dreht sich um und bleibt vor mir stehen. Außer uns und einer Streifenpolizistin von der Nachtschicht ist niemand auf der Straße. Wir winken ihr zu. 08.00 Wir holen die Petya von den Organisatoren und Dido, dem Freund meines Bruders, ab,  essen schnell Stueck Kuchen und fahren ins Dorf Bogdan. Ich hatte Nachrichten über die ueberschwemmten und notleidenden Dörfer gesehen und wollte schon damals helfen, aber es gab keine Leute um mich herum, die genug Freizeit hatten, um mich dorthin zu bringen. Ich bin Mitglied der Wasserwacht in Deutschland, aber hier in Bulgarien hatte ich keine Ausrüstung und keine Rechte.

10.30 Uhr - Ankunft im Dorf, Bogdan. Autos liegen auf ihren Dächern, zerquetscht wie ein Schrottbierfass und in die Schlucht geworfen. Die Höfe sind bis zum Rand mit Schlamm gefüllt, keine Tiere, keine Feldfrüchte, ein Durcheinander von Bäumen, überall verstreute Waschmaschinen, Kühlschränke und Matratzen. Du weißt noch nicht, wo du bist. Bis gestern hast du es im Fernsehen gesehen, und heute stehst du mitten drin. Es ist, als hättest du vergessen, den Kanal zu wechseln, du wartest auf den Abspann und stehst auf und verlässt das Kino. Es ist alles so unwirklich. 11.00 Uhr Wir parken direkt im Roma-Viertel - Mahale, ich laufe ins Zentrum des Dorfes und schnappe mir Schaufeln und Eimer, gespendet von #Gorata.bg. 


11.15 Uhr Wir gehen die "Straße" entlang oder was davon übrig ist, an den Häusern vorbei. Im ersten sind genug Leute. Wir gehen weiter der Strasse runter. Wir hören „Jungs, kommt herein“, ein netter, leicht pummeliger Herr ruft uns zu, „helft uns, meine Kinder, bitte“. Wir stellen uns schnell vor, schmeißen das Gepäck auf den Boden und direkt ins Haus. Brandneue weiße und schwarze Geräte sind bis oben hin voller Schlamm. Wir schnappen uns Kühlschränke, Herde, Fernseher, Kaffeemaschinen, Staubsauger und werfen sie einfach aus der Tür, direkt in den Schlamm des Hofes. Gefühle der Traurigkeit, des Bedauerns und der Wut über die korrupte Regierung, die dies zugelassen hat, sind gemischt. Adrenalin schießt in den Blutkreislauf. Dein Rücken tut nicht weh, deine Muskeln können Felsen aufrichten, Schweiß läuft dir hinter die Ohren. Du willst in ein oder zwei Stunden alles putzen, die Tomaten pflanzen, die Trauben aufziehen, das Holz sammeln, die Wäsche aufhängen..... aber du kannst nichts davon. Deine Stiefel bleiben im Schlamm stecken und du kannst dich kaum bewegen. 


 


12.30 Uhr, es sind erst zwei Stunden vergangen, wir schaufeln den Schlamm vor der Tür. Wir haben kaum die Hälfte davon bewegt. Der Bagger kommt nicht an uns ran, er steckt neben dem Vorderhaus im Schlamm fest und ist überhitzt. Der große Bagger kann uns nicht erreichen, weil der Fluss am Eingang zur Straße einen über 2 Meter tiefen Graben ausgegraben hat. Wir sind die einzige Hoffnung für den Opa Mischo und seine Familie. 12.45 Ich finde einen Ziegelstein und setze mich drauf mitten im Schlamm. Mischo sieht das und fordert sein Frau auf, sie solle mir einen Stuhl bringen, ihn waschen und den Tisch für mich decken. Irgendwo im Schlamm im Keller finden sie auch Kompott. Sie hatten vor 40 Tagen ein Enkelkind bekommen, sie mussten uns dafuer auf ein Essen einladen nd uns bewriten, so sind die Traditionen. Wir durften nicht im Schlamm sitzen. Mitten in diesem Haus spülen sie mit Mineralwasserflaschen das restliche Geschirr und decken uns einen Tisch. Sie hatten warmes Essen aus der Fabrik geschickt bekommen. Lass uns essen. Großvater Misho hatte zwei Herzinfarkte, zwei Satnds  und hat 41 Jahre Berufserfahrung in den Fabriken in Sopot. Er lehnt eine Krankenrente ab und geht trotzdem arbeiten. Jeden Tag! Er fährt um 4.30 Uhr mit dem Bus in die Stadt. Seine Autos stehen am Ende der Straße, bis unter die Dächer in Matsch und Schalmm getaucht. Er arbeitet die erste Schicht mit seinen Söhnen und dann rennen sie zurück in ihr Haeuschen hierher um weiter zu putzen. Sie haben Angst, dass ihnen jemand ihre letzten Gabeln und Löffel klaut. Neulich kam jemand angeblich zu helfen und versuchte, das Radio aus seinem verlassenen Auto zu stehlen. Er kann nicht schlafen. Als er die Augen schließt hoert er das Wasser kommen. Gott sei Dank leben sie alle noch. Sein ganzes Leben ist diesem Haus gewidmet. Er hatte sogar einen Kühlschrank gekauft, einen neuen, um ihn zu haben, als sein kleiner Sohn heiratet. Wir hatten den Kühlschrank erst vor einer Stunde rausgeschmissen. Es war nicht einmal eingeschaltet. Er hatte keine Versicherung abgeschlossen. Seine Frau sah dann in die 70lev, 35euro, viel Geld. Heute trauen sie sich nicht, darüber zu sprechen. Er werde einen Kredit aufnehmen, sagt er, er werde alles noch einmal machen. Solange er gesund ist. Alles wird wieder aufgebaut. Als er uns am Morgen kommen sah, erwärmte sich seine Seele. Wir haben ihm Hoffnung gegeben, dass das Haus wieder wird, dass die Tomaten nächstes Jahr wieder hier rosa werden, dass das Enkelkind unter den Traubenblaettern laufen wird. Er glaubte bis heute nicht, dass jemand zu ihnen herunterkommen würde. Die meisten gingen weiter nach oben, zu den Bulgaren. Sie gingen seltener zu ihnen hinunter. Sie seien Roma, keine Hilfe solle sie erreichen... Warum auch immer?


Wir stehen vom Tisch auf, danken und schütten weiter so viel Kraft aus, wie wir noch haben. Der Schlammgeruch durchdringt deine Kleidung, deine Haut, dringt in dein Gehirn ein.

 

17.00 Wir können nicht mehr. Die Heimfahrt steht uns noch vor. Wir wollen gehen,der Opa Mischo umarmt uns und fragt nach unseren Handynummer, wenn nur dieser Horror vorüber wird, wuerde er uns auf einen Lamm im Dorfofen gebacken für seinen Enkel eingeladen. Morgen feiern sie die 40er (40 Tage nach der Geburt ein traditionelles bulgarisches Fest) mit  Pogacha (Grosses brotaehnliches Gebaeck), in einem anderen Dorf, weit weg von den Problemen. Nur koennen sie nirgendwo baden. Aber Hauptsache sie sind gesund.

Wir geben uns die Hand, heben die Schaufeln auf und gehen nach Hause. Ich öffne mein Handy und sehe Kommentare, dass den Roma nicht geholfen werden musste. Ich frage mich, ob ich die Schaufel aus dem Kofferraum nehmen sollte, diese Kommentatoren finden und eine weitere gute Tat für die Nacht vollenden sollte. Ich beschließe stattdessen, mich hinzusetzen und die Geschichte von Opa Misho und seiner hart arbeitenden Roma-Familie aus dem Dorf Bogdan zu erzählen. Jemand mag glauben, dass das Wasser uns ertrinken wird, solange wir uns in Zigeuner und Bulgaren weiter teilen. Vor Mutter Natur sind wir alle gleich in unseren Freuden und in unseren Schmerzen. Gott helfe Großvater Misho und all seinen verletzten Nachbarn! Amen

 

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