Sir, kommen Sie mit - Teil 9

Sir, kommen Sie mit

     Ich wach ploetzlich auf. Ich war allein im Bett. Die Sonne versuchte, durch die Schlitze in den Jalousien hereinzukommen. Jemand klopfte an die Tür des Zimmers. Ich streckte automatisch meine Hand auf das Bett und suchte es ab. Neben mir lag nur ein leicht feuchtes Badetuch aus dem Hotel. Ich stand auf, wickelte mich um und öffnete die Tür. Am Eingang stand in seinem makellosen Anzug mit Fliege der Junge von gestern. 

- Guten Morgen, Sir, bitte nehmen Sie Ihren Pass und kommen Sie mit. Ihr Gepäck können Sie hier lassen.) – Er lächelte und ging zügig die Treppe hinunter, etwas, das er seit mindestens fünf Jahren tat, wie seine Eile und Geschikt zeigten.

    Ich stand in meinem nassen Bademantel unter dem Türrahmen und blinzelte, dann drehte ich mich um und knallte die Tür hinter mir zu. In diesem Moment wurde mir klar. Ich war ganz allein. Das Zimmer war leer. Von Elif fehlte jede Spurn. Ich schaute ins Badezimmer. Der Boden war nass, der Spiegel noch schweißnass, der Schaum vom Shampoo sammelte sich um den Abfluss herum. Es sollen nicht mal fünf Minuten gewesen sein, wo jemand hier gebadet hatte. Ich warf den Mantel auf den Boden und stampfte weutend darauf. Was ist passiert? Ich sah mich genauer um. Von ihrem Gepäck war nichts zu sehen, sogar ihre Zahnbürste hat sie mitgenommen. Ich suchte das Bett ab, oeffnete alle Schubladen. Um Himmels willen, wenn du gehen willst, lass mir einen Zettel mit paar Zeilen da, geben ein Lebenszeichen von dir, dass alles in Ordnung ist. Verlass mich nicht wie einen herrenlosen Hund mitten in Istanbul.

    Ich setzte mich wieder aufs Bett. Die Gedanken und die Fragen stuermten meinen Hirn. Ich fühlte mich wie gestern am Flughafen. Angst, Adrenalin, Sorge und Verzweiflung durchfluteten meinen Körper. Aber mir fehlte etwas. Es gab wieder ein kleines Detail, das ich verpasst hatte. So konnte alles doch nicht enden! So viel zu bewegen nur fuer eine einzige Nacht, das durfte doch nicht wahr sein! Es gab keine Logik! Aber wo ist sie? Warum haben sie mich vom Hotel aus mit meinem Pass und ohne mein Gepäck angerufen! Ich hatte es ihnen gestern gezeigt, nicht wahr? Ich habe das Band mit meinen Errinerungen zurückgespult. In Antalya hatte ich keine krumme Dinge gezogen. Am Flughafen war mir um Elif herum nichts Verdächtiges aufgefallen.

    Ich zog schnell an, was ich finden konnte, putzte mir die Zähne und holte meinen Pass aus meinem Rucksack. Unter den Fenstern hörte ich viele Menschen angeregt türkisch reden. Ich zog den Vorhang zurück und starrte. Ein Dutzend Polizisten hatte sich direkt vor dem Hoteleingang versammelt, an zwei Autos gelehnt, Kaffee getrunken und gewartet. Der junge Herr, der mich weckte, unterhielt sich beiläufig mit ihnen. Hatte er mich verraten? Was war hier los? Wer war Elif? Agent, Drogenhaendlerin Menschenhändlerin, vermisst und gesucht? Außer ihrem Namen wusste ich gar nichts über sie. Was sollte ich erklären? Keiner meiner Verwandten wusste, dass ich in Istanbul war. Wenn mir etwas passieren würde, würde es niemand erfahren. Vielleicht war das Spiel vorbei und das Game Over war näher als ich erwartet hatte.

„Verdammt, sagte ich mir. Ich lief so oft am Rande des Abgrundes und stuerzte nicht, heute werde ich es auch schaffen aus dieser Geschichte sauber rausgehen.

    Ich schnappte mir meinen Pass, bekreuzigte mich und öffnete die Tür. Ich ging langsam die Treppe hinunter, meine Beine fühlten sich wie aus Blei. Stufe fuer Stufe, wie ine einem Horrorfilm ging mir alles vor den Augen. So sind die Menschen wohl vor Jahren zum Galgen oder zum elektrischen Stuhl gelaufen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, und ich war erst drei Stockwerke hinuntergegangen. Aus dem offenen Fenster im Korridor stuermte mir entgegen eine frische Brise. Soll ich springen und laufen. Aber wohin? Und warum, ich war unschuldig. Es ist wahr, dass im Gefängnis jeder unschuldig ist, und das ist niemals ein guter Argument. Ausserdem die letzten Tage konnte ich oft fliehen und habe es nicht getan. Heute werde ich auch nicht tun. Da war eine Kraft in mir, etwas tiefer Glaube und verbleibende Ehre, die mir sagte, ich solle die Tür öffnen und beenden, was ich begonnen hatte. Vielleicht brauchte mich Elif? Wo in aller Welt steckst du?

****

Ich zog am Türgriff, er knarrte und bewegte sich. Die Sonne hat mich geblendet. Ich machte einen grossen Schritt nach vorne und stellte mich vor die Polizisten. 

- Ich bin Svetozar. - Sagte ich und reichte dem Ältesten meinen Pass.

- Gunaydin Svetozar, er lachte laut - Kaffee? - fragte er mich und bot mir seinen Kaffebecher an. Ich war wütend auf sie alle. Wenn sie mich schnappen wollen, dann bitte schoen aber wenigstens nicht über mich lustig machen. Ich wollte, dass alles schnell und schmerzlos endet. 

- Nein danke! - Ich lehnte die Einladung ab und zog meinen Pass zurück. Ich schaute ihm direkt in die Augen. Ich streckte beide Arme nach vorne, wobei sich die Handgelenke berührten. - Komm schon, mach weiter , sagte ich ihm in reinem Bulgarisch. Anstatt mir Handschellen anzulegen, fingen alle an zu lachen. In diesem Moment, genau wie am Flughafen, fühlte ich, wie eine Hand an meiner Schulter zog.

- Komm mit, - der Typ von der Rezeption stand neben mir und zeigte mir, ihm zur Hotelrezeption zu folgen. Ok, ich steckte meine Hände zurueck in die Taschen und zusammen mit ihm durchquerten wir schnell den Park, wo sich bereits Kinder mit ihren Eltern, Hunde und Obdachlose versammelt hatten – das übliche Mittagsbild für die meisten kleinen Nachbarschaftsparks in Istanbul. Die Glastür öffnete sich und ich wurde aufgefordert, mich auf die mir bereits bekannte Ledercouch zu setzen. Ich warf mich hin und gab meinen Pass ab. Der Junge nahm es und setzte sich hinter den Computer. Mein Blick begann durch den Raum zu wandern. Zertifikate für das Hotel, Fotos seiner Gäste, eine kleine Bibliothek, ein Teetablett. Der Junge tippte lustlos auf der Tastatur.

Der Park neben dem Hotel

 Ich drehte mich um, um meinen Pass zu holen, und erschrak. Hinter der Hotelrezeption, in einer Nische, sah ich Elifs Koffer. War es aber tatsaechlich ihrs? Die Deutschen kaufen oft identische Koffer im Angebot großer Handelsketten und nehmen regelmäßig den falschen an der Gepäckausgabe. War sie noch da oder hatte einer der Gäste den gleichen Standartreisekoffer dahingestellt? Ich wollte ihn fragen, aber der Junge stand auf, gab mir den Pass und sagte. 

 - Sie koennen gehen - in diesem Moment stürmte eine ganze Gruppe von über 20 Leuten in den kleinen Raum und mir blieb nichts anderes übrig, als zu gehen, ohne meine Frage gestellt zu haben. Ich wurde nervös und ging auf die Straße.

Ich hatte kaum die Straße betreten, als mich eine Hand hart nach links zog. Ich drehte mich um. Elif stand in der Sonne, rauchte und beugte sich hin und her vor Lachen. 

- Guten Morgen Zarko, wie geht es dir?  - um Gottes Willen, was war wieder hier los. Einerseits war ich froh sie wieder zu sehen, andererseits braeuchte ich schnellstmoeglich eine plausible und sinnvolle Erklaerung was hier abging.

 - Weißt du, dieses Zimmer ist zu klein und hat keinen Balkon. Ich rauche morgens sehr gerne zum Kaffee und bin früh morgens hierhergekommen, um mit Denise zu reden. Ich habe uns die größte Wohnung mit Terrasse und Parkblick gemietet. Auch unser neues Badezimmer ist der Knaller! Mit Duschlabine und vergoldeten Wasserhahnen! Ah, uebrigens, direkt unter unserem Balkon versammeln sich morgens die Polizisten vom benachbartem Revier zum Kaffeetrinken. Du musst ihnen nicht jeden morgen deinen Reisepass zeigen, wenn du das Hotel verliesst. - sie lachte laut weiter und imitierte mich wie ich meine Haende zum Handschellenanlegen nur zehn Minuten frueher ausgestreckt gehalten habe. - Komm, lass uns ins Zimmer dein Gepäck einpacken.

Es gibt keine Worte, die die Gefühle beschreiben können, die ich fühlte. Freude, Euphorie, Erleichterung gemischt mit Wut und Aggression. Ich schüttelte nur den Kopf und sagte:

- Na, wenn das der Fall ist, lade ich dich dann zum Frühstück auf unsere Terrasse ein - ich umarmte sie und nahm ihre Hand.

Ein Streifenwagen hielt direkt vor uns. Das Fenster öffnete sich, der ältere Polizist von vorhin lächelte, zwinkerte mir zu und sagte „Viel Glück“, schaltete das Blaulicht ein und verschwand, um das Gute in den Straßen von Istanbul zu verteidigen.

Das Spiel war noch nicht zu Ende.

 

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