Ich bestimme die Spielregeln!

Ich bestimme die Spielregeln!

 Gleich hinter der Sultan-Ahmed-Moschee waren kleine Straßen mit alten Häusern. Ich schlängelte mich durch Tische und Stühle, die auf dem Bürgersteig aufgestellt waren. Es war bereits gegen 11 Uhr und die Leute hatten die Cafés gefüllt, spielten Backgammon, tranken Tee und redeten laut. Laut Straßenschildern sollte hier irgendwo meine Wohnung sein. Laut der Beschreibung im Internet sollte es ein grosses Schlafzimmer, mit einem Wohnzimmer und einem Badezimmer, in einem denkmalgeschützten Haus sein. Es könnte aber hier überall sein. Ich flippte noch mehr aus und fragte schließlich in einem der Cafés nach. Obwohl ich ihr Backgammonspiel unterbrach, waren die Männer sehr entgegenkommend und führten mich zu einer grossen Glastür.

Ich klopfte und trat ein. Drinnen, hinter einem Computer, saß ein kleiner Junge in einem Anzug mit Fliege, der aufstand und mich begrüßte!

- Guten Morgen, Sir!

Herrgott noch mal, ich roch nach Doener mit Knoblauchsosse, ich war dreckig, in Badeanzug, Flip-Flops und sah nach alles andere als nach einem englischen Adliger. Andererseits konnte ich aber sehr gut Englisch sprechen.

- Hey, ich bin der Mr. Alexandrov, sagte ich, als wäre ich gerade aus London aus dem Flugzeug gestiegen und hätte keine 24 Stunden auf dem Weg verbracht, zwischen bärtigen Männern und Eierschalen eingezwängt war und die halbe Türkei durchquerte. - Ich habe hier eine Reservierung. Eine kleine Wohnung.

Der junge Mann lud mich ein, auf einem Ledersofa Platz zu nehmen, bot mir Tee an und setzte sich an den Computer. Allmählich fühlte ich mich wieder wie im Urlaub.

- Ja, kommen Sie mit, ich habe Sie im System gefunden! Sie sollten aber bitte später noch mal kommen, um mit Ihrem Pass einzuchecken, mein Chef ist gerade nicht da.

Ich habe dieser Einladung überhaupt nicht widersprochen. Je früher ich zu einem Bad und einem Bett kam, desto besser wäre es für mich und vielleicht auch für ihn. Die Wohnung befand sich auf der anderen Straßenseite und war ein dreistöckiges Kulturdenkmalgebäude. Ich fühlte mich, als würde ich in die Jahre des Osmanischen Reiches zurückversetzt, kurz bevor es zusammenbrach. Das Tor war aus massivem Holz, die Fensterläden auch, innen war es blitzsauber und roch sehr gut. Wir gingen die Treppe hinauf und im obersten Stockwerk des Hauses schloss er eine kleine Tür auf und lud mich in ein kleines, äußerst luxuriöses Zimmer ein. Die Wände waren tapeziert, das Badezimmer makellos, das Bett groß und ein großer Fernseher hing an der Wand. Das war viel mehr als ich erwartet und gebraucht hatte, ich dankte ihm und sagte, dass ich bald meinen Pass holen würde und noch mal vorbeikommen werde. Er nickte, erhielt von mir einen 10-Lira-Schein, damals etwa um 3 Euro und schliesste die Tuer. Ich saß auf der Bettkante und konnte immer noch nicht glauben, dass ich in Istanbul war. Naja, vor einem Monat habe ich das Büro in Berlin verlassen und bin für eine Woche Urlaub nach Antalya geflogen! Als ob dies in einem anderen Leben von mir wäre.

*** 

Ich bin von der Hoja aufgewacht. Ich sah auf die Uhr auf meinem Handy. Es war bereits 17 Uhr. Als ich mich auf dem Bett aufsetzte, schlief ich ein. Das Timing hat bei mir nicht funktioniert. Ich musste Elif schreiben, dass ich die Unterkunft bereits organisiert hatte und abwarten, was die anderen Wünsche der Prinzessin mit dem Sultan zu vereinbaren waren. Ich klappte den kleinen Laptop auf, den ich seit Berlin mitgenommen hatte, loggte mich ein und schickte eine Nachricht. Ich habe gezittert! Hatte ich das Ziel bereits verfehlt, oder wurde das Spiel nur noch intensiver. Auf dem Display erschienen ein paar Punkte ... Jemand schrieb mir auf der anderen Straßenseite eine SMS.

- Wo warst du, du musstest bis 12 Uhr schreiben, noch einmal und du bist aus dem Spiel.

Ich bin keiner, der sich entschuldigt, besonders gegenüber Fremden, aber in diesem Fall hat mich etwas dazu gebracht, mich an die Regeln zu halten. Ich hatte das Gefühl, ich hätte jederzeit das Spiel verlassen. Ich wusste damals nicht, dass dies genauso wahr war wie der Eid des Rauchers, dass er morgen aufhören könnte, wenn er sich dafuer entschloss. Jemand hatte das Drehbuch vor langer Zeit geschrieben, was mir das Gefühl gab, der Jäger zu sein, aber ich war der Gejagte, ohne es zu ahnen.

- Ich habe geschlafen, das Hotel ist ok. Ich schicke dir einen Link mit der Adresse, schau es dir an und sag mir Bescheid, ob es dir gefällt, schrieb ich schnell und rieb mir die Augen. - Schau mich nicht an, ich bin auch ein Mensch, fügte ich hinzu und schlug wütend auf die Tastatur. Diesmal habe ich nicht lange gewartet. Die Punkte tauchten wieder auf und ich wartete auf mein Urteil. Der Mahctkampf hatte bereits begonnen, und wir waren uns noch nicht persönlich begegnet.

- Sehen Sie, entweder tun Sie, was ich Ihnen sage, oder es hat keinen Sinn, in zwei Tagen zum Flughafen zu kommen. Gehen Sie jetzt zur Rezeption und reservieren Sie fuer mich ein Zimmer, vielleicht neben Ihrem, mit großem Bad und einem Balkon. Machen Sie sich keine Illusionen und Hoffnungen. Ich bestimme, was passieren wird. Heute Nacht, bis 22 Uhr, warte ich darauf, dass du mir schreibst, was du getan hast. Deine Zeit läuft ab, du solltest besser nun gehen. 

Ich schloss den Laptop und stieg aus dem Bett. Ich war allein in einem Raum in einer 20-Millionen-Stadt, niemand wusste, wo ich war, und ich folgte Anweisungen vom Display eines kleinen Laptops. Eine falsche Bewegung, eine Fehleinschätzung und ich könnte in große Schwierigkeiten geraten. Da ich bereits zweimal unten angekommen war, machte mir nichts Angst. Ich war aus Hotels geschmissen worden, ich hatte auf Bänken und in Hostels mit Drogendealern und Banditen geschlafen, ich war ausgeraubt worden, ich war in Schlägereien verwickelt, ich war mehr als einmal illegal gereist. Ich fühlte mich bereit für ein neues Abenteuer. Wer in Istanbul kämpfen will, muss bereit sein, den Preis zu zahlen. Das hat mein Adrenalin in Wallung gebracht. Ich duschte schnell, zog einen neuen Shirt darüber, ich hatte keine andere Hose, fand meinen Reisepass und ging die Treppe hinunter.

****

An der Rezeption saß ein pummeliger, dicker und lächelnder Türke. Er trug Flanell und seine Haare guckten aus seinem Kragen. Von den Manieren des Jungen keine Spur.

- Ah, Herr Alexandrow, setzen Sie sich hierher. Ich habe auf Sie gewartet, er streckte seine Hand zu mir und wir schuettelten unsere Haende. - Tee? Cay? Seine Hand war verschwitzt, sein Lächeln stark übertrieben und seine Haare noch länger als meine. Ich mochte ihn nicht. Damals ahnte ich noch nicht, dass ich nur ein halbes Jahr später wieder auf diesem Sofa vor ihm sitzen würde und er über mein Schicksal entscheiden müsste, ob ich im Gefängnis oder bei ihm schlafen sollte. Dafuer aber später. „Ich bin der Deniz“, fügte er hinzu.

- Ich bin Alexandrov, aber Sie können mich Zarko nennen. Ich komme aus Bulgarien, diese Formalitäten sind nicht nötig, Komshu. Er lachte über das Wort Komshu, Nachbar auf Tuerkisch, und das brach das Eis zwischen uns. 

Schau, ich brauche ein Zimmer neben meinem für zwei Tage. Ich warte auf einen Freund, erklärte ich, ohne ins Detail zu gehen. Er lachte, zwinkerte mir zu und sagte, eineN Freund huhu? Das englische Wort Freund ist geschlechtsneutral und ich fühlte mich nicht verpflichtet, meine Absichten näher zu erläutern. Je weniger die Leute wussten, worum es ging, desto sicherer fühlte ich mich. 

Er gab mir meinen Pass zurueck, ich bezahlte zwei Nächte und vereinbarte, dass er mir ein Zimmer reservieren würde. Ich sagte ihm jedoch, wenn meinem Freund mein Zimmer gefalle, könne er bei mir bleiben. Er hat mir nur zugezwinkert und gesagt:

- Du wartest auf ein Mädchen, nicht wahr? Kein Problem. Ich weiß, worum es geht. Wenn Sie wollen, können Sie den Mercedes-Bus da vorne in Anspruch nehmen, ich schicke unseren Fahrer, um deinen Freund zu holen. Sie bleiben dabei einfach in Ihrem Zimmer und warteten auf ihn. Anscheinend hatte mein neuer Freund Deniz diesen Film mehr als einmal gespielt und ein ganzes Geschäft daraus gemacht. Viel später fand ich heraus, dass er nicht nur ein Geschäft daraus gemacht hatte, sondern auch einer der schmutzigsten Spieler im ältesten Männerberuf war. Im Moment hat es mich nicht sonderlich gestört. Ich bedankte mich, nahm den Pass und ging spazieren. Das Zimmer wurde reserviert, ebenso der Transport. Die letzte Aufgabe bestand darin, die Nachbarschaft zu erkunden, um zu sehen, ob sie sicher ist und wo man frühstücken und zu Abend essen kann. Es war bereits 20 Uhr und ich hatte nur noch zwei Stunden, bis ich den Bericht schreiben musste.

****

Yeni Kapi - YENI KAPI

Instinktiv ging ich die Straße entlang. Die Hitze war bereits vorbei, und es gab keinen Schemel, keinen Stein oder keine Kiste auf der Straße, auf der nicht ein Mann saß und Tee trank. Ladenbesitzer winkten Passanten, ihre Waren zu kaufen, bevor sie schliessen, Backgammon-Würfel flogen zwischen Teetassen, Jungen rannten mit Tabletts mit Tee herum, andere weniger glückliche schoben Karren mit Plastikflaschen, die sie aus dem Müll gesammelt haben. Ich wanderte hin und her, bis ich auf einen kleinen Platz stieß. Um mich herum waren nur schwarze Männer und Frauen. Von der türkischen Idylle, die ich aus vielen Filmen kannte, keine Spur. Überall, wo ich am Bordstein hinsah, sahen mich Dutzende von Frauen, meist Schwarze, an. Es war bereits dunkel und ich wusste erst gar nicht was los war. Allmählich bemerkte ich, dass Männer anhielten, mit einigen von ihnen sprachen und zu nahe gelegenen Hotels gingen. Ich war auf der Straße im Rotlichmilieux. Ich hatte schon mal abends hier und da eine Dame in Bulgarien gesehen, aber das hier war etwas Spektakuläres. Es waren mindestens 200 Frauen, aneinandergereiht wie nach Faden, von dünn bis dick, von jung bis alt, von schön bis weniger attraktiv. In einer anderen Situation hätte ich vielleicht zumindest mit einigen von ihnen gesprochen, aber ich musste nach Hause. Die Zeit verging und ich war fest entschlossen, das Spiel mit Elif zu Ende zu spielen. 

***

Ich setzte mich aufs Bett, klappte den Laptop auf und tippte:

- Hallo, wie geht es dir? Bei mir ist alles ok. Ich habe ein Zimmer gefunden, ich schicke den persönlichen Fahrer im neuen Mercedes, um dich vom Flughafen abzuholen. Du landest auf der asiatischen Seite, und das sind 65 km vom Hotel über den Bosporus, ich werde mich da nicht orientieren. Ich werde im Hotel bleiben und auf dich warten.

Jemand hat meine Nachricht gelesen, aber nicht geantwortet. Es war nach 22 Uhr. Offenbar ging das Nervenspiel wieder los. Ich legte den Laptop weg und ging ins Bett. Bis Mitternacht konnte ich nicht einschlafen. 

***

Ich bin um 5 Uhr morgens von der Hoja aufgewacht. Ich war mit den Kleidern auf dem Bett eingeschlafen. Auf dem Laptop neben mir blinkte etwas. Ich hatte eine Nachricht erhalten.

- Ich habe dir schon im Hotel in Antalya gesagt, entweder kommst du persönlich, um mich vom Flughafen abzuholen und meinen Koffer zu tragen, oder du brauchst morgen nicht zu kommen. Um 14.30 Uhr lande ich, nehme meinen Koffer mit mir mit, um 15.00 Uhr gehe ich nach vorne zum Rauchen.Du musst bis 16 Uhr kommen. Danach checke ich für den nächsten Flug ein. Du kannst nicht in meine Heimatstadt kommen, und ich rate dir das ab. Da gelten andere Regeln. Denke bitte sorgfältig nach. Bis morgen oder auch nicht. Elif

Ich wurde verrückt. Ich schlug aufs Bett, fluchte, warf meinen Laptop auf den Boden. Was denkt sie? Ich bin 800 km gereist, habe ein Luxushotel in einem Top-Viertel von Istanbul gemietet, einen privaten Transfer organisiert und sie ist immer noch nicht zufrieden. Wenn ich wollte, könnte ich mit meiner Kreditkarte bis zum Ende der Straße gehen und mich mit so vielen Frauen, wie ich wollte, bis zum nächsten Morgen in einem Hotelzimmer einschließen und nicht herauskommen, bis mir das Geld oder die Energie ausgegangen sind. Ich hatte das Spiel bereits begonnen, ich wollte es aber auch beenden. Ich hob den Laptop vom Boden auf, nahm meine Jacke und ging hinaus auf die Straße. Die Falle hatte zugeschlagen.

Naechste Folge

Fortgesetzt werden

 


 

Коментари